Ob Mathehausaufgaben, Lateinübersetzungen oder Deutschreferate – heutzutage können Schülerinnen und Schüler ihre Aufgaben mit nur wenigen Klicks von Künstlicher Intelligenz erledigen lassen. Deutschlands Schulen stehen vor der Herausforderung, angemessen auf den digitalen Wandel zu reagieren. Doch wie gut gelingt das? Und sind Lehrer und Schüler überhaupt in der Lage, KI sinnvoll einzusetzen?

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Tim Frische sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Für die einen weckt sie Ängste, für die anderen ist sie eine unverzichtbare Begleiterin auf dem Weg in die Zukunft: Künstliche Intelligenz hat nicht nur Einzug in unsere Gesellschaft gehalten, sondern ist mittlerweile auch fester Bestandteil des Schulalltags. Die Möglichkeit, sich von einer Maschine Aufgaben abnehmen zu lassen, ist für viele Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene reizvoll. Doch der Umgang mit diesem mächtigen Werkzeug will gelernt sein – ebenso wie das nötige Wissen, KI verantwortungsvoll und zielgerichtet einzusetzen.

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Reflexion als Schlüsselkompetenz

"In weiterführenden Schulen können die Jugendlichen die Tools technisch oft bedienen, aber es fehlt ihnen an Reflexionsfähigkeit", bemängelt Katharina Scheiter, Professorin für Digitale Bildung an der Universität Potsdam, im Gespräch mit unserer Redaktion. Sie sieht die Schulen, die im ersten Schritt datenschutzkonforme Anwendungen verfügbar machen müssen, in der Verantwortung, das notwendige Wissen zu vermitteln. Denn: "Es reicht nicht, wenn Schülerinnen und Schüler KI nur bedienen können – sie müssen auch verstehen, wie diese Tools arbeiten."

Ein zentrales Problem: Viele Lehrkräfte nutzen Künstliche Intelligenz im Alltag seltener als ihre Klassen – und verfügen deshalb oft über weniger praktische Erfahrung im Umgang mit den entsprechenden Anwendungen. "Man kann nichts vermitteln, was man selbst nicht beherrscht. Wenn wir möchten, dass Schülerinnen und Schüler KI-Kompetenz erwerben, müssen auch die Lehrkräfte selbst diese Fähigkeiten entwickeln", sagt Scheiter.

Erste Fortschritte in diese Richtung sind bereits erkennbar: Mehrere Bundesländer haben Pilotprojekte gestartet, um Lehrkräfte gezielt im Umgang mit Künstlicher Intelligenz zu schulen und deren Einsatz im Unterricht zu erproben. In Nordrhein-Westfalen etwa testen seit dem zweiten Schulhalbjahr 2024/25 insgesamt 25 ausgewählte Schulen den Einsatz von KI-Tools im Mathematik- und Deutschunterricht. Mecklenburg-Vorpommern erprobt an 16 Schulen ein KI-gestütztes Feedbacksystem, das Lehrkräfte bei der individuellen Förderung ihrer Schülerinnen und Schüler unterstützen soll.

Nur wenige Lehrer lehnen KI komplett ab

Die im Oktober 2024 veröffentlichte repräsentative Bitkom-Studie hat sich ebenfalls mit dem Thema Künstliche Intelligenz im Schulkontext beschäftigt. Immerhin: Mehr als die Hälfte (51Prozent) aller Lehrerinnen und Lehrer hat demnach bereits Erfahrungen mit KI-Anwendungen wie ChatGPT, SchulKI oder FieteAI im Unterricht gesammelt. Weitere 28Prozent planen, entsprechende Tools künftig zu integrieren, während lediglich elfProzent den Einsatz kategorisch ablehnen.

Für Susanna Endres, Professorin für Pädagogik mit dem Schwerpunkt Medienpädagogik und Digitale Bildung an der Katholischen Stiftungshochschule München, ist Letzteres der falsche Ansatz. "Wenn wir Angst davor haben, dass an Hochschulen immer mehr Hausarbeiten und Abschlussarbeiten gefälscht werden oder dass Referate und Hausaufgaben von KI-Systemen erstellt werden, dann ist das keine Lösung", sagt sie. "Es wäre falsch, die Technologie einfach zu verbieten, nur weil wir uns vor dieser fürchten. Stattdessen sollten wir uns fragen: Was bedeutet das für uns? Und welche neuen Kompetenzen müssen wir im Umgang mit solchen Technologien entwickeln?"

Joscha Falck
Joscha Falck ist Lehrer, Fortbildner, Autor und Blogger. Er beschäftigt sich intensiv mit den Themen digitale Bildung, Schulentwicklung und den Einsatz von Künstlicher Intelligenz im Unterricht. © Falck

Joscha Falck – Lehrer, Fortbildner, Autor und Blogger – hat ein KI-Kompetenzmodell mitentwickelt, das sich in die Bereiche Verstehen, Anwenden, Reflektieren und Mitgestalten gliedert, jeweils mit drei Kompetenzstufen von Basis- bis Expertenniveau. Im Zentrum steht die Fähigkeit, KI-Tools verantwortungsvoll zu steuern und zu gestalten.

Das Modell richtet sich gleichermaßen an Lehrende und Lernende, da die grundlegenden KI-Kompetenzen für beide ähnlich sind, wobei Lehrkräfte zusätzlich pädagogische Fähigkeiten benötigen. "Die große Herausforderung, mit der wir aktuell alle kämpfen, besteht darin, wie wir schulisches Lernen und Aufgaben neu gestalten müssen, wenn uns jetzt hyperpotente KI-Systeme zur Verfügung stehen, die wir jederzeit und für alles fragen können", erklärt Falck, der ein Umdenken in der Lehrgestaltung für notwendig erachtet. Neue Aufgabenformate sollen Künstliche Intelligenz bewusst integrieren und zugleich einen kritischen Umgang mit der Technologie fördern.

An den Umfragen des Meinungsforschungsinstituts Civey kann jeder teilnehmen. In das Ergebnis fließen jedoch nur die Antworten registrierter und verifizierter Nutzer ein. Diese müssen persönliche Daten wie Alter, Wohnort und Geschlecht angeben. Civey nutzt diese Angaben, um eine Stimme gemäß dem Vorkommen der sozioökonomischen Faktoren in der Gesamtbevölkerung zu gewichten. Umfragen des Unternehmens sind deshalb repräsentativ. Mehr Informationen zur Methode finden Sie hier, mehr zum Datenschutz hier.

Lernprozess wichtiger als das Resultat

Ein weiterer Ansatz: den Anteil an kritischer Auseinandersetzung in schulischen Aufgaben deutlich zu erhöhen. "Anstatt den Fokus nur auf das konkrete Endprodukt zu legen – etwa bei der Präsentation eines Referats – verlagern wir ihn stärker auf den Prozess des Lernens und Arbeitens sowie auf die Reflexion", erklärt Falck. Dazu gehört, gezielt Fragen zur Umsetzung zu stellen: Welche Strategien wurden angewendet? Welche Tools kamen zum Einsatz? Welche Eingaben wurden gemacht?

Im Mittelpunkt steht dabei, warum bestimmte Formulierungen gewählt, welche Ergebnisse übernommen oder verworfen wurden – und welche Überlegungen diesen Entscheidungen zugrunde lagen. "Gleichzeitig müssen wir den jungen Menschen bei jedem Thema klar machen, warum es wichtig ist, sich selbst anzustrengen und warum es sich lohnt, etwas zu lernen. Wir müssen ihnen vermitteln, dass es nicht hilfreich ist, sich einfach die Lösung von der Maschine zu holen", betont Falck.

Großteil der Deutschen vertraut Künstlicher Intelligenz blind

Laut einer Umfrage überprüft ein Großteil der Deutschen die Ergebnisse von Künstlicher Intelligenz (KI) nicht. Experten warnen vor den Gefahren, die blindes Vertrauen in die KI mit sich bringt.

Auch Angelika Beranek, Professorin für Medienbildung an der Hochschule München, plädiert dafür, eine Generation auszubilden, die nicht automatisch überall Künstliche Intelligenz einsetzt, nur weil es technisch möglich ist. KI neige dazu, basierend auf Trainingsdaten das Erwartbare zu produzieren. Ihre Forderung: "Die Fähigkeit, über das Erwartbare hinauszudenken und wirklich Neues zu schaffen oder bestehende Dinge kreativ zu verändern, darf nicht verloren gehen."

Politik setzt auf Förderung von KI-Kompetenz

Positiv zu vermerken ist der "DigitalPakt 2.0", die Fortsetzung des "DigitalPakt Schule", mit dem die neue Bundesregierung bis 2031 zusätzlich fünf Milliarden Euro bereitstellen möchte, um die digitale Ausstattung der Schulen sowie die Fortbildung der Lehrkräfte weiter voranzutreiben. Künstliche Intelligenz ist dabei ebenfalls ein zentrales Thema.

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Christine Streichert-Clivot, Präsidentin der Bildungsministerkonferenz 2024 und Ministerin für Bildung und Kultur des Saarlandes, erklärte im Dezember 2024: "Wir sind uns bewusst, dass die Digitalisierung nicht nur technische Herausforderungen mit sich bringt, sondern auch eine grundlegende Veränderung der Lehr- und Lernkultur erfordert, gerade auch im Hinblick auf die Chancen, die sich durch die Entwicklungen der Künstlichen Intelligenz ergeben."

Zwei Monate zuvor verabschiedete die Bildungsministerkonferenz eine Handlungsempfehlung zum Einsatz von Künstlicher Intelligenz in Schulen. Diese soll einen konstruktiv-kritischen Umgang mit KI fördern und zugleich die Potenziale der Technologie für Lehren und Lernen nutzbar machen. Das Ziel ist, Schülerinnen und Schüler auf eine digital geprägte Zukunft vorzubereiten – oder, wie Professorin Scheiter es treffend zusammenfasst: "KI wird in dieser Welt, in der Kinder und Jugendliche aktuell aufwachsen, dazugehören. Damit haben wir die Verantwortung, uns in den Schulen mit diesem Thema auseinanderzusetzen."

Über die Gesprächspartner

  • Prof. Dr. Katharina Scheiter ist seit 2022 Professorin für Digitale Bildung an der Universität Potsdam und zählt zu den führenden Expertinnen für digitales Lernen und den schulischen Einsatz Künstlicher Intelligenz. Sie engagiert sich unter anderem in der Arbeitsgruppe "Gesellschaftliche und individuelle Auswirkungen von KI-Systemen" der Deutschen Gesellschaft für Psychologie und ist Mitglied des Didaktischen Beirats für Künstliche Intelligenz beim Cornelsen-Verlag.
  • Prof. Dr. Susanna Endres ist Professorin für Pädagogik mit dem Schwerpunkt Medienpädagogik und Digitale Bildung an der Katholischen Stiftungshochschule München.
  • Joscha Falck ist Lehrer, Fortbildner, Autor und Blogger. Er beschäftigt sich intensiv mit den Themen digitale Bildung, Schulentwicklung und den Einsatz von Künstlicher Intelligenz im Unterricht. Kontakt: www.joschafalck.de
  • Prof. Dr. Angelika Beranek ist Professorin für Medienbildung an der Hochschule München und Studiendekanin der Fakultät für angewandte Sozialwissenschaften. Sie beschäftigt sich intensiv mit der digitalen Transformation in der Sozialen Arbeit, insbesondere mit Themen wie Cybermobbing, Medienkompetenz und der kreativen Nutzung digitaler Medien.

Verwendete Quellen